KULINARIK
Weinvariationen zu: Huhn!
Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug
Hahn, Huhn und Hähnchen – das sind meist Synonyme für neutrale Proteinunterlagen, Träger von Röstaromen, Gewürzen oder Saucen; gerne auch die Wahl derer, die dunklen Fleischsaft und Blut scheuen, aber aufs Animalische doch nicht ganz verzichten wollen. Weinempfehlung? Oft beliebig: «Passt zu Geflügel und Pasta» ist Marketing-Talk für «Kauf mich einfach».
Beginnen wir ganz schlicht mit dem Brathuhn. Wer sich je daran versucht hat, weiss, wie sehr der kulinarische Teufel hier im Detail steckt und wie schwierig es ist, ein saftiges Huhn mit knuspriger Haut auf den Tisch zu bringen. Reichlich mit Zitronensaft cremig gerührte, gesalzene Butter im Inneren des Vogels sorgt für ein feines Aroma und einen guten Fond zum Bestreichen der Haut während des Bratens. Gute Fleischqualität und eine angemessene Ruhephase vor dem Anschneiden tun ein Übriges. Im Glas? Gereifter trockener Riesling der bestmöglichen Art. Zehn Jahre alte Weine aus der Wachau aus dem üppigen Jahrgang 2006 sind jetzt wie prädestiniert, um mit eleganter Mineralik und diskret wirkender, gelb-grüner Frucht das Huhn zu bereichern, ohne es an die Aromenwand zu drücken.
Wer nicht ganz so lang Gereiftes im Keller hat, aber mit dieser Begegnung nicht warten möchte, der bäckt das Tier nach altbewährter Wiener Art. Und zwar mit Geduld und langsam, in Mehl, Ei und Brösel gehüllt, in richtig gutem Schweineschmalz, zur Hälfte mit dem bestmöglichen Butterschmalz gemischt. Das Ungestüm junger Rieslinge wird durch «die Panier», wie die Österreicher sagen, aufgefangen, ist aber auch eine gute Gelegenheit, einen konzentrierten Neuburger zu öffnen.
Nach so viel krachig-knusprigem Backvergnügen gehen wir zu ganz anderen Aromen über, nämlich dem Huhn im vornehm weissen Mantel. Das kann das vertraute Frikassee sein oder noch imposanter das Tier im Ganzen gegart und serviert, in eine seidige Velouté mit grünen Estragon-Einsprengseln gehüllt, auf einem Bett aus duftendem Reis, der sich als Pilaw mit der Hühnerbrühe vollgesogen hat. Auch hier hilft Zitrone, mit der man die Haut vor dem Garen sorgfältig und kräftig abreibt, um den zarten Eigengeschmack zum Ausdruck zu bringen. Mit Butter und frischem Estragon gefüllt, gesalzen und behutsam gepfeffert langsam pochieren, gerade eben mit Wasser bedeckt. Während der Reis gart, Eigelb mit Sahne verquirlen, reichlich gehackten Estragon und etwas Hühnerfond zugeben und alles vorsichtig erwärmen, bis die Sauce bindet. Servieren. Geniessen.
Etwa mit deutlich gereiftem Chenin Blanc der stoffigen Art, dessen Säure und regennasse Kräuterwürze dem Huhn ohne jegliches Fremdeln oder Zögern und doch ganz behutsam unter die mastplumpen Arme und Schenkel greift. Für manche vielleicht eingängiger im (grossen!) Weinglas: Weissburgunder, ebenfalls mindestens fünf Jahre gereift. Der ordnet sich dem grossen Auftritt aus der Küche eher unter und gibt die tragende Säule zur meisterhaften Skulptur. Wer Lust auf sahnehelle Sauce und das Anis-Lebkuchen-Aroma des Estragons hat, aber keine Verwendung für ein ganzes Huhn (oder keine Zeit, um es zuzubereiten), der nimmt Hühnerbrüste; leicht in Mehl gewälzt, gewürzt und in Butter sanft angebraten, dann mit Weisswein, Hühnerbrühe und Sahne nicht ganz bedeckt und mit angedrückten Wacholderbeeren sanft gargezogen. Abschliessend wiederum frischer Estragon und Wein, siehe oben. Oder aber Chardonnay. Das kann sich aufgrund von Säure und Ausbaumethoden etwas fordernder gestalten, aber zu grossartigen Erlebnissen führen.
Für ambitionierte Geniesser
Eine Poularde Truffée en Vessie «Mère Fillioux» werden sicher nur die ambitioniertesten Geniesser am heimischen Herd zubereiten, aber es liesse sich wohl kein eleganterer Abschluss eines (in diesem Fall unbedingt langen und gemächlichen) Hühnerlebens vorstellen. Trüffelscheiben unter die Haut des Huhns zu schieben, es mit einer Fleischfarce und Gemüse zu füllen, um es dann in ei-ner gesäuberten Schweinsblase in Hühnerbrühe langsam garziehen zu lassen – das hat sich in kulinarischer Vorzeit eine der legendären Köchinnen in Lyon ausgedacht, La Mère Fillioux. Paul Bocuse, der bei der Mère Brazier, einer Fillioux-Mitarbeiterin, die später ihr eigenes, erfolgreiches Restaurant eröffnete, seine Lehre absolvierte, hat beizeiten die Showqualitäten dieser Form des Dampfgarens erkannt. Die Volaille de Bresse en Vessie «Mère Fillioux» ist eines der Highlights auf der Karte seiner «Auberge du Pont de Collonges». Wer sich dort für die hohe Investition entscheidet, der möchte den historischen Moment vielleicht auch mit der tiefen, erdig-apfeligen Würze eines Corton-Charlemagne krönen.
Ansonsten lässt sich das Ganze auch wunderbar im «Schwarzen Adler» der Familie Keller in Oberbergen im Kaiserstuhl erleben – wo man neben den Burgundern aus dem Burgund eine Vielzahl ähnlicher Weine stellen kann, die um das Restaurant gewachsen sind. Alles zu weiss und hochgestochen? Kein Problem. Huhn salzen, kräftig pfeffern, mit reichlich Butter einreiben und etwas Honig beträufeln. Im Ofen braten. Ordentlichen Bourgogne Pinot Noir öffnen. Oder umblättern und Coq au Vin kochen. Auch nach Bocuse.
DIE WEINE
Zum rotgebadeten Huhn servieren wir zweimal Rotwein und einen stoffigen Weissen.
Erdeluftgrasundreben Weissburgunder 2013
Claus Preisinger, Gols, Weinland (A)
13,5 Vol.-% | 2016 bis 2023
Shake it! steht auf dem minimalistisch gestalteten Etikett – was zu einem orange-gelb-trüben Ergebnis im Glas führt, das herrlich honigröstig duftet und am Gaumen Nussbutter mit feingerbigem Umami und einer wunderbaren Ahnung von Herbstfrucht verbindet. Maischevergoren, ungeschwefelt, unfiltriert. Und elegant sowie dem Huhn ein erfrischend- belebender Begleiter.
Gächlingen Schlemmweg Pinot Noir 2013
Markus Ruch, Neunkirch, Klettgau (CH)
12,5 Vol.-% | 2016 bis 2025
Markus Ruch, Burgund- und Naturweinfan, setzt seit knapp zehn Jahren im Klettgau neue Massstäbe für Weinqualität rund um den Bodensee. Auf dem vom Muschelkalk geprägten Boden des Schlemmwegs stehen über 50 Jahre alte Reben, deren Trauben Ruch langsam und präzise in einen nahezu schwerelosen, feinen und doch tiefen Wein überführt. Tannenwald und Sauerkirschen geben und fordern zugleich vom Huhn auf dem Teller.
L’Esprit de l’Horizon Rouge 2013
Domaine de l’Horizon, Calce, Côtes Catalanes (F)
13 Vol.-% | 2016 bis 2020
Spontanvergoren und vom Zusammenspiel von Syrah und Carignan, Meer und Bergen geprägt. Im Moment in der Nase noch etwas verschlossen (der Schieferboden!), doch dann setzt sich am Gaumen die zugängliche Frucht des südlichen Roussillon durch, während die unterschwelligen, aber doch sehr präsenten Gerbstoffe für ordentliche Bodenhaftung sorgen, auch auf dem Teller.