Überraschend kombiniert
Raclette mit Bordeaux
Text: Daniel Böniger, Foto: Martin Hemmi
Jeder kennt Geheimtipps beim Kombinieren von Wein und Speisen. Die originellsten Mariagen stellen wir Ihnen in dieser Serie vor. Zu geschmolzenem Bergkäse serviert Autor Daniel Böniger roten Bordeaux.
Liebevolles Miteinander geht anders. Wer Bordeaux mit Raclette kombiniert, sucht nicht die zärtliche Umarmung, wie sie sich etwa bei Austern und Champagner oder bei Chianti und Spaghetti Bolognese erleben lässt. Nein, wer den einen roten Vertreter aus der französischen Überappellation zusammen mit würzigem, geschmolzenem Schweizer Käse auftischt, will dabei sein bei einem Kräftemessen von Giganten am Gaumen.
Versuchen Sie’s!
Raclette mit gereiftem, würzigem Käse
Im Gegensatz zur Schweizer Käsespeise Fondue (die einige Franzosen gern selbst erfunden hätten) wird über die Herkunft von Raclette nicht debattiert: Sogar der französische «Larousse Gastronomique» ordnet das Käsegericht dem helvetischen Kanton Wallis zu. Traditionell, heisst es dort, wird ein halber Käselaib vor der Glut eines Holzkohlefeuers «gegrillt». Die oberste, geschmolzene Käseschicht wird abgeschabt und zusammen mit Pellkartoffeln sowie Beilagen wie Silberzwiebeln und Cornichons serviert. Übrigens lohnt es sich, mit verschiedenen Käsesorten und Reifegraden zu experimentieren. Für die hier empfohlene Mariage mit Bordeaux bietet sich gereifter, würziger Käse an, bei dem die frischen milchigen Aromen eher im Hintergrund bleiben. In der Regel haben Sorten aus Rohmilch mehr aromatische Tiefe.
Bordeaux-Wein zu Raclette
Zugegeben, fürs Kombinieren mit Raclette ist ein Château Latour wohl zu schade – ein gut gereifter Zweitwein eines renommierten Weinguts tut es auch. Wichtig ist die typische überbordende Bordelaiser Stilistik, sprich: Von allem – Saftigkeit, Tannin, Körper, Intensität der Aromatik – darf es ein wenig zu viel sein… Bei uns landete ein Château Buget 2008 aus Saint-Émilion im Glas, der sich sowohl durch Fruchtigkeit als auch durch animalisch-ledrige Aromen auszeichnete. Auch der lange Abgang des körperreichen Weins kam der Kombination mit dem Käsegericht entgegen. Und, ja, dekantieren sollten Sie den Tropfen!
Die Mariage
Verschiedene sensorische Wahrnehmungen gehen mit dem Genuss von Raclette und Bordeaux einher: So werden etwa die Milcharomen des Käses präsenter. Die Tannine des Weins treten deutlicher zutage, weshalb sie nicht allzu rau sein sollten. Im Idealfall wird deutlich angenehme Fruchtigkeit aus dem roten Tropfen herausgekitzelt. Hat man keine selbst gemachten milden Gewürzgurken zur Hand, sollte man auf das übliche in Essig eingelegte «Beigemüse» verzichten – es kommt dem Wein in den Weg. Wer’s mag, darf den Käse unterm Feuer aber ruhig ein wenig dunkel werden lassen – die entstehenden Röstaromen passen zu denen des Weins.
Das erste Mal Bordeaux zu Raclette
Zum ersten Mal Bekanntschaft mit dieser Mariage machte ich vor zehn Jahren: Ein Freund, der aufgrund seines Jobs im Finanzwesen schnell zu Geld gekommen war, brachte zu einem Fest ein paar teure Rote aus dem Bordelais mit. Natürlich hätten wir ihm diesen Snobismus bei einem Abendessen mit 400 Gramm schweren Entrecotes verziehen. Doch die besagte Feier fand erstens an einem Sonntagnachmittag statt. Und zweitens gab’s eben Raclette. Dazu so kostspielige Tropfen trinken? Die meisten Anwesenden waren skeptisch – den anderen fehlte es schlichtweg an Sachkenntnis für das Zusammengehen von Speisen und Getränken. Erstaunlicherweise mussten am Ende alle zugeben: Die Kombination funktioniert vortrefflich.
Aber lieber ohne Salzgürkchen
Wenn wir geschmolzenen Bergkäse und Bordeaux zusammen geniessen, treffen zwei ebenbürtige Gegner aufeinander. Ich spreche von der Würzigkeit, Deftigkeit und Cremigkeit des Milchprodukts, die mit merklichem Tannin, mit Fülle und Kraft des Weines ringen. Und auch wenn die Gerbstoffe etwas zu deutlich zutage treten, werden sie wenig später schon wieder gebändigt von milchigen Noten, die beim Käse herausgekitzelt werden.
Ein Schlagabtausch wie bei einem guten Boxkampf ist garantiert, zumindest bis man ins Salzgürkchen beisst, das gern zum Raclette genossen wird… Das lässt man besser bleiben, so wird sich keine Harmonie einstellen. Dass hingegen Kartoffeln problemlos zur Kombi passen, leuchtet angesichts der erdigen Aromen der Speiseknolle ein.
Oder doch lieber Chasselas?
Ein interessanter Nebeneffekt bei der ungewöhnlichen Kombination: Wir begreifen plötzlich, wieso alle Welt Chasselas zur Käsespezialität einschenkt. Es hat mit der Völlerei zu tun, die so gern beim Raclette-Essen zelebriert wird. Dank der Säure und der kühlen Serviertemperatur von Fendant und Co. – übrigens sind Abfüllungen ohne BSA empfehlenswerter – wird der Mund frisch gemacht für die nächste Ladung Käse.
Dass so acht oder neun Portionen auf einem Teller landen, kommt nicht selten vor. Mit Pomerol und Pauillac funktionieren solche Ausschweifungen nicht: Nach drei-, viermal Nachlegen ist es genug. Irgendwie gewinnt die Schweizer Käsespeise so deutlich an Stil. Raclette wird zum eleganten Mahl, entfernt sich merklich vom deftigen Bauernessen, das es ursprünglich mal war.
Zugegeben, am Ende des Abends einen Kirsch zu kippen, kann man sich dann doch nicht verkneifen.