Überraschend kombiniert
Bergkäse und Riesling
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: Martin Hemmi
Jeder kennt Geheimtipps bei der Kombination von Wein und Speisen. Zum gereiften Schweizer Bergkäse empfiehlt unsere Autorin Ursula Heinzelmann einen trockenen, mineralischen Riesling.
Wer kennt das nicht: Da kommt man und frau von Kino, Theater oder was auch immer nach Hause, draussen ist es dunkel, vielleicht auch kalt, und es ist spät, aber nicht spät genug, um den Tag direkt für beendet zu erklären. Ein bisschen Appetit ist bei genauem Hinhören zu erkennen, und Lust auf einen Schluck Wein sowieso... Logischer nächster Schritt: Aufgabenteilung. Einerseits Käsevorräte inspizieren, andererseits Flasche heranschaffen (unter beinahe paradiesischen Bedingungen wäre noch das Anzündendes offenen Kamins einzuplanen).
Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass es sich beim Käse um einen Bergkäse handeln wird. Oder sie sollte zumindest gross sein, denn so ein gereifter Älpler gehört zu den zuverlässigsten Stand-bys in Käseform überhaupt. Sorgfältig, aber nicht luftdicht verpackt und in der richtigen Ecke gelagert (nicht zu trocken, nicht zu feucht, bei fünf bis zehn Grad Celsius) fühlt er sich pudelwohl und ist immer zur Stelle. Und der Wein? Tja. Da ist die Wahrscheinlichkeit nun richtig gross, dass Rotes in die Gläser fliesst. Denn nicht jeder plant immer so weit vor, dass Weisswein bereits gekühlt in Startposition wartet – und passt nicht Rotwein sowieso viel besser zu so einem Käse?Ziegenkäse und Sauvignon, klar, und Roquefort und Sauternes auch, aber so ein stabiler Kerl aus den Bergen? Und so ein gemütliches Ausklingen des Tages? Nun, wer jetzt einfach nur wegdösen möchte, dem sei der Rote gegönnt. Doch für einen spätabendlichen Energieschub ganz ohne Bullendose sollte eine Flasche richtig trockener, mineralischer Riesling zum Einsatz kommen. Der erinnert den Käse nämlich an seine bergige Herkunft und übersetzt seine dichte Würze zurück in den Duft der klaren Gebirgsluft.
Ich gebe zu: Ich wäre auch nicht drauf gekommen. Den Tipp habe ich Franz Nachbaur zu verdanken, Spitzenwinzer in Röthis am äussersten östlichen Ende des Bodensees. Wir sassen an einem klaren Sommerabend auf seiner Terrasse mit Blick über Rheintal und Appenzell, die Alpen rund um den Säntis neben uns am Tisch. Nachbaur ist früher selbst auf die Alp gegangen, in der Stube standen noch ein paar hölzerne Gebsen* und drüben im Stall eine Kuh, die mit ihrem Mist den Dünger für die Reben unterm Haus liefert. Ich hatte gereiften Allgäuer Bergkäse mitgebracht, Nachbaur öffnete daraufhin entschlossen seinen Rheinriesling. «Zum Bergkäse», sagte er im Vorarlberger Dialekt, «braucht’s einen klaren, starken Wein!»
In der Tat gefielen sich der ungeschminkte kernige Bergwein und der ebenso charaktervolle Kerl auf dem Brett auf den ersten Blick und Schluck. Deshalb liegt in meinem Kühlschrank stets eine Flasche trockener Riesling. Käse sowieso. Am offenen Kamin arbeite ich noch – das ist mitten in Berlin beinahe so schwierig wie ein Balkon mit Blick auf die Alpen.
*Die Gebse ist ein in der Alpenregion einst verbreitetes flaches Gefäss aus Holz. Es ist ein böttcherhandwerkliches Produkt und ähnelt damit einem im unteren Drittel durchtrennten Holzfass. Als Haushaltsgegenstand ist die oft in der Milchverarbeitung verwendete Gebse heute weitgehend abgelöst.
Versuchen Sie’s!
Die Speise
Müssen wir hier grossartig präzisieren, was wirklich guten Bergkäse ausmacht? Tun wir’s für die Nichtschweizer Leser: Er soll aus Rohmilch sein. Er soll gereift sein; ein Jahr ist gut, zwei sind im besten Falle besser. Er soll entweder direkt vom Älpler sein oder von einem guten Affineur oder Käsehändler. Er soll nach konzentrierter Milch, Bergluft und Kräutern schmecken, nicht nach schmieriger Rinde. Er soll von seiner Herkunft geprägt sein. Er kann Gruyère, Etivaz oder Alpkäse heissen, er kann aber ebenso aus dem Bregenzerwald oder dem Allgäu kommen (ja, auch dort gibt es tatsächlich guten Käse!).
Der Wein
Riesling. Wirklich trocken. Mineralisch. Mit knackiger, aber reifer Säure. Und nicht ganz leicht im Alkohol, um dem Käsefett auf der Zunge etwas entgegenzusetzen. Nachbaurs Riesling gibt es leider nur in homöopathischen Mengen. Im Selbstversuch haben sich als Alternativen bestätigt: Schiefermoselsteilweine wie die Trittenheimer Apotheke von Ansgar Clüsserath (Mosel) oder die glasklaren Mineraliker vom Weingut Tesch (Nahe). Aber durchstöbern Sie Ihren eigenen Vorrat!
Die Mariage
So einfach wie die Begegnung vorm Kamin: (gekühlte) Flasche öffnen, in geeignete Gläser einschenken, (bitte nicht eiskalten) Käse in nicht zu dünne Scheiben schneiden. Trinken, essen, schmecken... Kräuterwürze und Mineralik, Frucht und Berglichtmilchüppigkeit – und die Säure, die alles belebt und wach hält. Die Nacht ist lang. Ein letzter Ratschlag: Zwei Flaschen sind besser als eine.