Der portugiesische Jakobsweg
Caminho do vinho portugués: eine Pilgerreise von Weingut zu Weingut
Text: Christian Eder, Fotos: Christian Eder, z.V.g.
Auf Schusters Rappen und auf den Spuren des Apostels Jakobus durch Portugal und Galicien in die Kathedrale, in welcher der Heilige begraben ist: Eine zehntägige Pilgerreise von Porto bis Santiago de Compostela, die nicht nur der Kontemplation dient, sondern auch zu Weingütern und in Thermalbäder führt.
Kristallklar ruht er im Glas und duftet nach frischen Trauben, dezent untermalt von Aromen von Bittermandeln und Gewürzen: der Orujo, der traditionelle galicische Tresterschnaps. Dieser hier ist im Auftrag der letzten drei verbliebenen Franziskanermönche des Convento de San Antonio de Herbón produziert worden und das unerwartete Finale eines Pilgermenüs im Kloster Herbón, der letzten Etappe vor unserem Ziel Santiago de Compostela. Dort haben wir dann rund 260 Kilometer Fussmarsch am Caminho Português hinter uns. Daher haben wir uns den Orujo in der Küche des Pilgertrakts wohl verdient, mit ein paar Abba-Songs aus Jorges Stereoanlage als ungewöhnliche Untermalung.
Jorge ist der gastfreundliche Hospitalero des Klosters von Herbón, das in einem grünen Tal am Ufer des Flusses Ulla liegt. Er stammt ursprünglich von den Kanaren und hat die Stelle des Hospitaleros in Pedrón, für die er eine Ausbildung der Jakobsgesellschaft absolvieren musste, erst seit ein paar Monaten inne. Einst eine bedeutende Ausbildungsstätte für junge Franziskanerbrüder, ist der Konvent heute das Highlight unter den Pilgerherbergen am Caminho Portugués und für viele Pilger die letzte Schlafstatt, bevor sie im 25 Kilometer entfernten Santiago de Compostela ankommen. Für diesen magischen Ort nehmen sie gerne die drei Kilometer Umweg in Kauf, um die spirituelle Kraft des acht Jahrhunderte alten Klosterkomplexes in sich aufzunehmen.
Nach neun Tagen auf dem Pilgerpfad schlafen wir zum ersten Mal in einem Stockbett. Wenn auch nicht in einem Saal voller schnarchender Mitpilger, sondern in einer Zwei-Mann-Koje, die man zumindest mit einem Vorhang zum Gang hin abtrennen kann. Nicht ganz eines der hübschen Hotelzimmer, die wir bislang gewohnt waren, aber die geplagten Füsse können sich vom Marsch durch die grüne Landschaft Portugals und Galiciens, entlang am Atlantik und am Ufer des Flusses Minho, hier genauso gut etwas erholen.
Perfekter Start in Porto
In Porto vor mehr als einer Woche schien noch die Sonne: Dort begann unser Caminho Portugués mit einer Pilgersegnung vor der Kathedrale und dem ersten Stempel in unserem Pilgerpass. Natürlich kommt man in Porto an einem Glas Port nicht vorbei: Und so gab es nach einer Francesinha – dem portugiesischen mit Käse überbackenen Sandwich aus Toastbrot, Kochschinken, Spiegelei, Linguiça, Beefsteak oder gebratenem Rindfleisch (Kombinationen gibt es viele) in einer heissen Sauce aus Tomaten, Bier und Senf – ein Glas eines LBV von Taylor’s. So auf die Reise eingestimmt müssen wir nicht die Linie 1 der historischen Tram Eléctrico besteigen, sondern bringen die paar Kilometer am Douro entlang zum Meer zu Fuss hinter uns.
Beim ersten Teil des Caminho Portugués steht man nämlich noch vor der Wahl: Geht man den traditionellen Pfad durch das Inland über Rates und Ponte de Lima nach Valença oder die etwas längere und neuere Version am Atlantik entlang bis Caminha und dann am Ufer des Minho weiter, bis sich an der Grenze Spaniens beide Routen vereinen? Der Küstentrail hat den Vorteil, dass man auf Holzstegen und Wanderwegen grossteils abseits des Verkehrs wandert, vorbei an Sand- und Felsstränden und an einzigartigen Dünenlandschaften. Die Kulinarik kommt dabei nicht zur kurz: In Marinhas locken gegrillte frische Sardinen, während Viana do Castelo weiter nördlich für seinen Bacalhau bekannt ist. Dazu passt natürlich hervorragend ein Vinho Verde.
Sein Anbaugebiet liegt zwischen den Flüssen Douro und Minho und umfasst die Regionen Viana do Castelo, Braga und Porto. Der schon im Jahr 1908 definierte DOC-Bereich ist das grösste Anbaugebiet für Qualitätsweine in Portugal. Als Rebsorten dürfen unter anderem Alvarinho, Avesso, Loureiro, Treixadura oder Sercial verwendet werden. Meist werden die Reben auf der Pergola gezogen. Diese schützt die Reben vor der Feuchtigkeit der Böden und vor zu viel Hitze.
Auch wir schätzen die Pergola, auf der wir auch im Inland immer öfter wandern: Nicht so sehr wegen der Hitze, sondern wegen des Regens, der uns beständig erfrischt. Der Norden Portugals und Galicien sind fest in der Hand des feucht-atlantischen Klimas. Kein Wunder, dass in der grünen Landschaft mit Eukalyptusbäumen, Kiefern und Eichen daher auch weisse Trauben besonders gut gedeihen.
Regionale Traubenvielfalt
Wie auf der Quinta do Casal do Paço bei San Salvador im Hinterland von Ponte de Lima: Das Gut erstreckt sich über fast 20 Hektar, von denen vier Hektar mit Reben und weitere vier mit Kastanien bepflanzt sind. 2003 gründete der Metaphysiker und Möbeldesigner Vasco Croft auf dem alten Besitz seiner Familie die Adega Aphros und widmete sich fortan dem biodynamischen Weinbau (unter anderem mit Fässern aus eigenem Kastanienholz, Amphoren und Betoneiern). Er setzt dabei vor allem auf die weisse Varietät Loureiro und die roten Vinhão und Alvorada. Denn Vinho Verde ist – wie man glauben könnte – nicht nur branco (weiss), sondern auch tinto (rot) und doce (süss).
Die traditionelle Rebziehung auf der Pergola passt hervorragend für Loureiro, eine leichte und fragile Rebsorte, meint der Önologe von Aphros, Miguel Viseu: «Die Traube ist die Basis von zitronig-fruchtigen dezent-mineralischen Weinen, die auch sehr gut reifen können.» Aphros produziert vier Weine aus Loureiro: Aphros, Ten, Daphne und Phaunus. Der Phaunus fermentiert in mit Bienenwachs versiegelten Amphoren und bleibt für sechs Monate auf den Hefen.
Der rote Gegenpart ist Vinhão, die meistgepflanzte Rebsorte im Anbaugebiet (im Douro nennt man sie Sousão), dunkelrot, nach Beeren duftend und von kräftiger Säure geprägt. Einige der besten roten Vinho Verde werden aus Vinhão gekeltert (und werden traditionell in den Bars in Tonschalen ausgeschenkt). Weniger bekannt ist hingegen die Rebsorte Alvarelhão, die kaum mehr angebaut wird, von der aber einst die nobelsten Weine stammten: komplexe, elegante, nach Pflaumen und Rosenblüten und Unterholz duftende Kreszenzen. Wie heute noch der Aphros Ouranos, der sechs Monate in Kastanienholz reift und den Pilger bald auch in der neuen Aphros-Winebar in Refoios de Lima nahe dem Jakobsweg probieren können.
Eine der Kernzonen des Vinho Verde liegt am Oberlauf des Flusses Minho: Zwischen Monção und Melgaço hat seit 40 Jahren die Quinta de Soalheiro ihren Sitz und produziert elegante Weine mit dem goût de terroir. António Luís Cerdeira pflegt hier in einzigartigen Lagen – soalheiro heisst sonnig – vor allem die Alvarinho, die schon sein Vater João António Cerdeira 1974 gepflanzt hat und die noch heute die Basis des Primeiras Vinhas bildet. Mitte der 1990er Jahre kreierte António Luís darüber hinaus auch den ersten Schaumwein aus Alvarinho, 2015 kam der «Granit» von mehr als 400 Meter hohen Lagen auf Granit (den höchsten in Portugal) auf den Markt, der noch heute den facettenreichen Charakter der Rebsorte demonstriert. Nachhaltigkeit und die enge Zusammenarbeit mit mehr als 150 Weinbauerfamilien gehören ebenso zur Philosophie des Weingutes wie innovative Konzepte im Keller (und die Zusammenarbeit mit Dirk van der Niepoort bei der Produktion von Loureiro von Granitböden).
Enormer Einfluss des Meeres auf die Weine
Alvarinho wird uns auch in der zweiten Hälfte unserer Pilgerfahrt begleiten, als wir bei Valença die spanisch-portugiesische Grenze überqueren und uns in der gotischen Kathedrale von Tui unseren ersten spanischen Pilgerstempel holen: In einer kleinen Bar neben der Kathedrale ist das «Reiseachterl» aus Albariño (ab nun die spanische Schreibweise). Denn Rebberge mit dieser Rebsorte dominieren auch den Westen Galiciens, die Rías Baixas, vier schmale, tief ins Land reichende Meeresbuchten, die aus Flusstälern entstanden sind und die sich vom Cabo Fisterra im Norden bis zur Grenze Portugals erstrecken und dem gleichnamigen DO-Gebiet den Namen gaben. Die grösste Ría ist die Ría de Arousa mit einer Länge von 37 Kilometern.
In der kühlen Atlantikluft entwickeln die Trauben weniger Aroma und Zucker, glänzen dafür aber mit Frische und Finesse. Die Nähe zum Meer verleiht den Trauben eine Salzigkeit, die sich hervorragend mit ihrem Säurespiel verbindet. «Riesig» sei daher auch der Einfluss des Meeres auf die Weine, meint Paula Fandiño, die Önologin von Mar de Frades, mit mehr als 200 Hektar einer der Big Player in Galicien. Paula Fandiño hat schon mit ihrem Grossvater in den steilen Rebbergen kleiner Winzer der Region gearbeitet und in Santiago de Compostela in Weinbau promoviert.
«Die kalkhaltigen Böden geben die Struktur, der Einfluss des Atlantiks sorgt für die Finesse.»
Paula Fandiño
Viele der Weinberge von Mar de Frades liegen in unmittelbarer Nähe zum Meer oder an den Hängen der Granitfelsen der Rías, in denen der atlantische Einfluss durch die Westwinde konzentriert wird. Paula Fandiño: «Die Ost-West-Ausdehnung der Rías sorgt dafür, dass die kalten Nordwinde abgehalten werden und die Albariño-Trauben optimal ausreifen können.» Wie auf der Finca Valiñas im Val do Salnés. Fandiño: «Unsere beste Lage: Die kalkhaltigen Böden geben die Struktur, der Einfluss des Atlantiks sorgt für die Finesse.»
Der Albariño gerät hier «atlantisch», nicht nur bei Mar de Frades. Auch Rodrigo Méndez – eines der Aushängeschilder des galicischen Weinbaus – erzeugt im Val do Salnés seit 2005 einige der besten Weine Galiciens. Neben seinem Weingut Forjas del Salnés hat er unter eigenem Namen noch eine kleine Produktion am Laufen, die nur aus einem Alba- riño und einem Rotwein aus gemischtem Satz besteht. Die «Cies» genannten Weine werden spontan vergoren und in gebrauchten Fässern ausgebaut. Ein Charaktertyp ist der Cies Tinto, der aus alten Reben auf Granitsand gekeltert wird und salzige Frische mit viel Eleganz und Komplexität verbindet. Die Weine von Rodrigo Méndez findet man übrigens dann auch in einer der besten Vinotheken von Santiago de Compostela: der «a viñoteca do mercado» am Mercado do Abastos, die sich auf lokale, meist kleine Produzenten aus Galicien spezialisiert hat.
Aber das steht uns in diesem Moment in Herbón noch bevor: Im Kloster haben wir inzwischen die kräftige Linsensuppe gelöffelt und unsere Karaffe Wein geleert. Bald geht’s – so Gott und unser Hospitalero Jorge wollen – in die Koje und morgen früh auf unsere letzte Etappe am Jakobsweg. Das Geschirr ist in internationalem Teamwork sauber gewaschen und getrocknet, Jorge scheint mit unserer Arbeit zufrieden und schenkt der inzwischen schon recht fröhlichen Truppe noch eine Runde des kristallklaren Orujo der Franziskanermönche aus. «Dancing Queen, young and sweet, only seventeen...» tönt es dazu durch die alten Klostermauern.
Weine aus Salz und Granit
Der Norden Portugals und Galicien haben mehr Gemeinsames als Trennendes: Das beginnt schon bei den Sprachen und führt über eine vom Ozean geprägte Kultur bis zu den Rebsorten. Vor allem Alvarinho/Albariño sorgt hier wie dort auf Granit oder kalkhaltigen Böden für mineralische Weine mit dem Goût d’Atlantique.
Quinta Casal do Paço – Aphros Wine, San Salvador, Portugal
Vinho Verde DOC Loureiro Aphros 2019
16.5 Punkte | 2022 bis 2025
Der Aphros Loureiro ist der Einsteigerwein von Aphros Wine in die Welt dieser eleganten Varietät, stahlgereift und fruchtig: Zwei Monate auf den Hefen belassen, überzeugt er mit seinen floralzitrusfrischen Aromen und der kraftvoll-salzigen Mineralität und kann überraschend gut reifen: Der Jahrgang 2019 kam bereits vor zwei Jahren auf den Markt.
www.aphros-wine.com
Quinta de Soalheiro, Melgaço, Portugal
Vinho Verde DOC Alvarinho Soalheiro Primeiras Vinhas 2019
17.5 Punkte | 2022 bis 2027
Die Reben, 1974 von Vater João António Cerdeira gepflanzt, sind noch heute die Basis von António Luís Cerdeiras Primeiras Vinhas, der komplex nach exotischen Früchten, Pfirsichen und Fenchel duftet und mit seiner punktgenauen Säure, der feinziselierten Mineralität und doch mit viel Schliff überzeugt. Einer der besten Weine aus dieser Rebsorte.
www.soalheiro.com
Bodegas Forjas del Salnés, Cambados, Spanien
Rías Baixas DO Albariño Lejana 2021
17 Punkte | 2023 bis 2027
Rodrigo Mendez’ Albariño Lejana von seinem Weingut Forjas del Salnés, eine der facettenreichsten Interpretationen dieser Rebsorte, betört mit frischer Fruchtaromatik, Blüten- und auch balsamischen Noten, ist elegant, mineralisch und hat Biss. Und ist noch dazu ein hervorragendes Mitbringsel für die Daheimgebliebenen.
www.pamisa.ch